Forschungsarbeit des Quartals #5
Was erforscht eigentlich Patrick Kahle?
Thema der Promotion
Dispositive der Zivilgesellschaft und ihre lokale Ausgestaltung
Institution: Bielefeld Graduate School in History and Sociology (Universität Bielefeld) & Institut für Sozialwissenschaften (Universität Hildesheim)
Betreuer: Professor Dr. Tobias Werron (Universität Bielefeld) & Prof. Dr. Michael Corsten (Universität Hildesheim)
Stand der Arbeit: Heiße Analyse- und Schreibphase
Die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ der Jahre 2015ff wurde vornehmlich nicht durch direkte staatliche Eingriffe bearbeitet. Vielmehr folgten auf einem Überlastungsdiskurs, demnach der Staat nicht mehr kontrollieren vermag, eine breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung. Nun mussten aber neben den Flüchtlingen auch Ehrenamtliche staatlich kontrolliert werden, deren Engagement über das Ziel hinausschießen könnte. Die Forschungsfrage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Wie der Staat die Zivilgesellschaft regiert?
Darauf, dass die Regierung der Zivilgesellschaft eine sanftere Form der Führung verlangt als Law and Order, wies Michel Foucault bereits in seinen Gouvernementalitätsstudien hin. An ihn anschließend gibt es eine überschaubare Zahl von Arbeiten, die das Regieren durch Community (Nikolas Rose) oder Zivilgesellschaft (Miika Pyykkönen) thematisieren, aber Deutschland nicht berücksichtigen und knapp älter als die ‚Flüchtlingskrise‘ sind. Deutsche Arbeiten, die lose in dieser Tradition stehen, weisen ebenfalls Kritikpunkte auf. Sie vernachlässigen die Relevanz der Sozialarbeit in dem Feld (Barbara Sutter, Elias Steinhilper), sind in ihrer Kritik an der Regierung der Zivilgesellschaft normativ stark aufgeladen (Stephan Lessenich, Silke van Dyk) oder prüfen ihre Gültigkeit nicht für den Fall der Bearbeitung der ‚Flüchtlingskrise‘ (Barbara Sutter, Stephan Lessenich). Lediglich Larissa Fleischmann exploriert, wie SozialarbeitInnen, EhrenamtskoordinatorInnen und Qualifikationsangebote für Ehrenamtliche für die Regierung der Zivilgesellschaft genutzt wurden. Aber sie kontextualisiert die Bearbeitung dieser Krise nicht mit den älteren Bemühungen, die Zivilgesellschaft zu regieren. Zudem verallgemeinern alle Arbeiten ungeprüft ihre teils lokalen Beobachtungen auf ganze Gesellschaften.
Die Bearbeitung der ‚Flüchtlingskrise‘ als einen Fall des Regierens der Zivilgesellschaft zu analysieren, bedarf einer umfangreichen Untersuchung des Feldes. Dabei sind Foucaults Ausführungen zur Analyse von Dispositiven und Gouvernementalität anleitend. Wie staatliche und nichtstaatliche Macht ausgeübt wird, wirkt und reproduziert wird, muss sich in diesem Fall bei allen Beteiligten zeigen: ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe, Sozialarbeit, Ehrenamtskoordination und Verwaltung. In diesen Gruppen wurden 53 Interviews geführt, die auf Machtwirkungen, Konsens und Dissens im eigenen Handeln der Befragten untersucht gegenwärtig analysiert werden. Um nachzuweisen, dass die Befunde nicht von ‚lokalen Zufälligkeiten‘ überschattet werden, aber auch zu überprüfen, wie unterschiedliche lokale Voraussetzungen diese Machtwirkungen beeinflussen, erfolgt ein vergleichendes Design zwischen einem ostdeutschen und einem westdeutschen Bundesland und in diesen zwischen ländlichen und städtischen Regionen.
Patrick Kahle über das Forschungscollegium:
Das Forschungscollegium bietet mir einen unschätzbaren Austausch über die eigenen soziologischen Fahrwasser hinaus. Gerade in Zeiten der Pandemie, in denen auch der informelle Austausch in den Fluren von Universitäten und den Pausen wissenschaftlicher Veranstaltungen Mangelware geworden sind, kam und kommt es hier zu Gesprächen und Kontakten, die einem dies bieten können.